Kennen Sie noch „Mariechen“ aus dem Harz?

Text von Buchautorin Ingrid Lader zur ehemaligen Zahnradbahn „Mariechen“.

 

Mariechen, die Zahnradbahn aus St. Andreasberg!

Mit dem Bau und der Eröffnung der Südharzeisenbahn im Jahr 1869 war Scharzfeld Bahnstation geworden und an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Von den 7 Oberharzer Bergstädten hatten 4 davon, nämlich Lautenthal, Wildemann, Clausthal und Zellerfeld, seit dem Jahr 1877 durch den Bau der Innerstetalbahn ebenfalls einen Bahnanschluss erhalten und dadurch eine Belebung der heimischen Wirtschaft und des Fremdenverkehrs erfahren. Bad Grund, Altenau und St. Andreasberg, die anderen 3 der Oberharzer Bergstädte, schauten mit großem Interesse auf die positive Entwicklung, und so lag es nahe, dass auch sie einen Anschluss an das Netz anstrebten.

 

Den Andreasbergern war der wirtschaftliche Aufschwung der mit Bahnanschlüssen versehenen Städte nicht entgangen, und der Magistrat der Stadt war auch sehr bemüht, in dieser Richtung Abhilfe zu schaffen. Große Freude herrschte zunächst erst einmal, als am 1. November 1884 die Strecke Scharzfeld – St. Andreasberg eröffnet wurde. Doch gab es eine gewisse Enttäuschung darüber, dass die Bahn etwa 3 Kilometer vor der Stadt endete am Bahnhof im Sperrluttertal.

 

So sah der Stadtbahnhof in Sankt Andreasberg aus.
So sah der Stadtbahnhof in Sankt Andreasberg aus.

Über die Eröffnung der Bahn stand in der Rubrik „Aus der Provinz“ der Zeitung „Öffentlichen Anzeigen für den Harz“ (jetzt Goslarsche Zeitung) am 8. Nov. 1884 folgender Bericht:

St. Andreasberg, 1. November

„Die gestern erfolgte Eröffnung der Eisenbahn St. Andreasberg – Lauterberg gestaltete sich zu einem großen Freudenfeste für unsere Stadt, und thatsächlich sind es weitgehende Erwartungen auf Wiederbelebung von Handel und Industrie, die man an die neue Verkehrsstraße bindet. Zahlreiche Fabrikbetriebe stehen droben im Hochgebirge trotz unversieglicher starker Wasserkraft seit vielen Jahren verödet. Möchte die billigere Verfrachtung, möchten die mannigfachen Hilfsmittel, welche eine Bahnverbindung bietet, sie wiedererwecken zu gedeihlichem Leben, das hofft heute ein Jeder in St. Andreasberg, umso mehr, als der Bergbau, der einst die Stadt groß gemacht (sie zählte vor zwei Jahrhunderten schon einmal 20.000 Einwohner), sehr abnimmt.

 

Die ersten Züge waren geradezu überfüllt. Doppellocomotiven waren zum Transport erforderlich, man zählte in einem solchen Zuge 17 herrlich geschmückte Personenwagen. Ein Musikcorps spielte frohe Weisen, und die ganze Stadt feierte mit Festmahl und in geselligen Zusammenkünften das Freudenfest der Bahneröffnung. Die Schwierigkeiten, welche die Anlage bot, waren verhältnißmäßig geringe; in sanfter Steigung folgt die Bahn durch herrliche Gebirgswälder der Lutter bis zum Bahnhofe St. Andreasberg, der zwischen der ehemaligen Bleiweißfabrik und der Silberhütte angebracht ist. Eine nähere Heranlegung an die Stadt war mit Rücksicht auf die dort beginnende stärkere Steigung nicht thunlich.“

Endpunkt der Odertalbahn war der Staatsbahnhof St. Andreasberg West am Fuße des Glockenberges.
Endpunkt der Odertalbahn war der Staatsbahnhof St. Andreasberg West am Fuße des Glockenberges.

 

St. Andreasberg hatte um die Wende ins 20. Jahrhundert eine schwere Notlage zu bewältigen, der Erzbergbau stand auf dem Prüfstand. Und so wurde dann auch 1910 die letzte Schicht in der Grube „Samson“ gefahren und die Andreasberger Silberhütte wurde 1912 still gelegt. Seit 1866 war Andreasberg Kurort und seit 1896 Wintersportplatz. Nun sah man durch eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse Chancen, den Fremdenverkehr zu beleben. Hilfreich dabei war schon einmal, dass St. Andreasberg überhaupt einen Bahnanschluss besessen hat, doch lag dieser etwa 3 Kilometer vor der Stadt.

 

Der Unmut in der Bevölkerung wuchs weiter an. Also wurden Überlegungen angestellt, wie die schwierigen Geländeverhältnisse vom Bahnhof in die Stadt bewältigt werden könnten. Den Gästen war ein so langer Weg nicht zuzumuten, noch dazu beladen mit Gepäck. Einige Hotels sandten zu jedem ankommenden Zug Kutschen, um die Gäste abzuholen. Später verkehrte auch ein Omnibus zwischen Bahnhof und Stadt, doch leider nur im Sommer. Es musste also eine Lösung für das Problem gefunden werden.

 

Diese Überlegungen konnte man in den Öffentlichen Anzeigen teilweise mit verfolgen:

Aus der Provinz vom 5. Dezember 1903

Über die beabsichtigte Vergrößerung bzw. Verlegung unseres Bahnhofs weiß die „Deutsche Volkszeitung“ zu berichten.

 

Die Eisenbahndirektion Kassel plant eine Vergrößerung des hiesigen, 3 Kilometer von der Stadt entfernt liegenden Bahnhofes durch Errichtung einer Laderampe, die 54.000 Mark kosten soll. Doch ist sie auch bereit, den Bahnhof etwa 700 Meter näher an den Ort zu legen und hat der Stadt den Vorschlag gemacht, sie möge dann eine Drahtseilbahn im „Grünen Hirsch“ hinauf anlegen, durch die ankommende und abgehende Güter und Personen befördert werden könnten. Die Stadt wünsche, daß die Staatsbahn noch etwa 1300 Meter weitergeführt werde, doch wurde dies abgelehnt, da diese Strecke 1 ½ Millionen Mark kosten würde. Nachdem der hiesige Verkehr auf jährlich etwa 60.000 Personen und 1.200 Tonnen Stückgut festgestellt ist, (Wagenladungen kommen nicht in Betracht) haben die städtischen Kollegien die Aktiengesellschaft Schuckert u. Co. beauftragt, ein Projekt auszuarbeiten. Ein vorläufiger Anschlag beziffert die Kosten auf 100.000 Mark.

 

Über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren waren mehrere Projekte im Gespräch, zum Beispiel der Bau einer Schmalspurbahn oder auch der Bau einer Standseilbahn. Alles scheiterte an den hohen Kosten.

 

Es gab dann im Jahr 1905 den Beschluss, eine normalspurige Zahnradbahn zu bauen. Dazu bewilligte der Landkreis Zellerfeld 100.000 Mark.

 

Aus der Provinz, 19. März 1912

Die Bauarbeiten für die Zahnradbahn Staatsbahnhof – Oberstadt haben des verhältnismäßig schneearmen Winters wegen nur drei Wochen im Januar unterbrochen werden müssen. Jetzt wird schon längere Zeit bei elektrischer Beleuchtung auch des Nachts gearbeitet. Man hofft, auf diese Weise schon im September den Betrieb eröffnen zu können.

 

8. Oktober 1912

Die Grundmauer-Arbeiten zu unserem Stadt – Bahnhof sind trotz der ungünstigen Witterung der letzten Wochen so weit gediehen, daß das Empfangsgebäude und der Güterschuppen dieser Tage gerichtet werden konnten. Mit der Ausmauerung des Fachwerkes hat man ebenfalls sofort begonnen, so daß die Gebäude noch vor Winter unter Dach und Fach kommen werden und die Innen-Arbeiten im Laufe des Winters ausgeführt werden können.

 

5. Juli 1913

Der Bau der Zahnradbahn vom Staatsbahnhof St. Andreasberg bis zur Oberstadt geht nunmehr seiner Vollendung entgegen. Als Tag der Betriebseröffnung ist der 20. Juli vorgesehen. Die polizeiliche Abnahme wird am 15. Juli stattfinden. Zur Feier der Eröffnung der Bahn ist am 19. Juli eine Fahrt der geladenen Gäste vom Staatsbahnhof bis zum Stadtbahnhof geplant mit anschließendem Kommers im Saale des Hotel Deutscher Hof.

Fahrplan 1884 der neuen Eisenbahnverbindung: Scharzfeld - Lauterberg - Staatsbahnhof St. Andreasberg.
Fahrplan 1884 der neuen Eisenbahnverbindung: Scharzfeld - Lauterberg - Staatsbahnhof St. Andreasberg.

22. Juli 1913 - Einweihung der Zahnradbahn.

Nachdem schon vorher die polizeiliche Abnahme der neuen Zahnradbahn vom Staatsbahnhofe St. Andreasberg bis zur Oberstadt erfolgt war, fand am Sonnabend die feierliche Einweihung dieser steilsten normalspurigen Zahnradbahn Deutschlands statt. Nachdem am Nachmittag Freifahrten der Andreasberger Bürger gewesen waren, fuhren gegen Abend die geladenen Gäste vom Staatsbahnhof zum Stadtbahnhof. Dort ordnete sich dann der Festzug, an welchem die Gäste, die Vereine unserer Bergstadt und die Schulkinder teilnahmen, um einen Umzug durch die Stadt zu machen. Er endete bei dem Hotel „Deutscher Hof“, wo ein Festkommers stattfand, bei welchem Herr Bürgermeister Schwier die Festrede hielt. Die Beteiligung am Festzuge und Kommers war sehr stark. So gestaltete sich die Eröffnung und Einweihung der neuen Bahn zu einer würdigen Festfeier für die gesamte Bevölkerung unserer Bergstadt. Ist doch nun endlich der Jahrzehnte lang gehegte Wunsch, die Stadt mit dem Staatsbahnhof zu verbinden, in Erfüllung gegangen! Möge die neue Bahn die auf sie gesetzten Hoffnungen in reichem Maße erfüllen!

30. September 1913  - Ausschnitt Winterfahrplan.

Neu aufgenommen ist im Anschluß an die Linie Scharzfeld – St. Andreasberg die Fortsetzung der Bahn von St. Andreasberg – Silberhütte (so heißt die Endstation der Staatsbahn jetzt) bis St. Andreasberg – Stadt, bekanntlich eine Privatbahn mit Zahnradbetrieb. Fahrkarten werden nur bis St. Andreasberg – Silberhütte ausgegeben, von dort müssen neue Fahrkarten bis zur Stadt gelöst werden.

 

Am 15. Juli 1913 war die Eröffnung der Bahn, und sie war bis 1959 in Betrieb. Mit 1,7 Kilometer ist sie zwar die kürzeste gewesen, aber mit einer Steigung von 1 : 8 die steilste Bahn im Harz. Gleich hinter dem St. Andreasberger Staatsbahnhof klinkte sich der Zug in die Zahnradstange ein. Am Ortsrand gab es die Haltestelle Schwalbenherd, dann ging es nur noch eine kurze Strecke bis zum Stadtbahnhof (heutige Bushaltestelle –Am Glockenberg-) wo auch ein Lok- und ein Güterschuppen vorhanden waren.

 

An Schienenfahrzeugen gehörten zur Bahn: Zwei identische Dampfloks, zwei Personenwagen in unterschiedlicher Bauart, jedoch beide als Bergbahnwagen gebaut. Dazu kam noch ein zweiachsiger Niederbordwagen in Normalbauart. Die Personenwagen hatten auf der talseitigen Achse ein Bremszahnrad, welches von Hand bedient wurde. Dazu kam noch die normale Druckluftbremse. Die Wagen hatten keine Gepäckablagen, wegen der Unfallgefahr in den Steigungen. Die Wagenbeleuchtung wurde von der Lichtmaschine der Lok mit versorgt.

 

Die beiden identischen C-gekuppelten, Vierzylinder-Nassdampf-Verbund-Zahnrad-Tenderlokomotiven wurden von der Firma Jung geliefert. Die Höchstgeschwindigkeit lag im Reibungsbetrieb bei 30 km/h, in der Zahnstange bei 8 km/h. Die Lok blieb immer am tiefsten Ende des Zuges und fuhr auch immer mit dem Schornstein voran bergauf.


Von den Einheimischen wurden beide Lokomotiven liebevoll „Mariechen“ genannt. Auch heute noch weiß man in St. Andreasberg und bei Eisenbahnfreunden, wer gemeint ist, wenn von Mariechen die Rede ist. Nach dem zweiten Weltkrieg waren größere Summen vonnöten, um Strecke und Fahrzeuge in Ordnung zu bringen, allein die Hauptuntersuchung einer Lokomotive kostete etwa 38.000 DM, was nun aber keiner mehr aufbringen wollte, zumal gerade der Omnibusverkehr mehr und mehr in den Mittelpunkt der Personenbeförderung gerückt ist. 1959 war es dann leider so weit, die Einstellung der Bahnstrecke wurde am 23. April vollzogen. Noch bis 1965 haben Omnibusse den Betrieb aufrecht erhalten. Von Bad Lauterberg her zum Bahnhof St. Andreasberg West gab es noch Schienenverkehr, anfangs mit Dampflokomotiven, später wurden Schienenbusse der Baureihe VT 95 eingesetzt.

 

„Mariechen“ unterwegs auf ihrer 1,7 Kilometer langen Zahnstangenbahn um den Glockenberg
„Mariechen“ unterwegs auf ihrer 1,7 Kilometer langen Zahnstangenbahn um den Glockenberg

Im Februar 1973 gab es jedoch noch einmal Hochbetrieb auf dem St. Andreasberger Westbahnhof, Silberhütte, denn ein Sonderzug des EK Hildesheim traf ein . Viele der Fahrgäste besuchten den „Speisewagen von Berlin“, von Heinz Düver, den dieser am Westbahnhof abgestellt hatte und als Restaurant betreiben wollte.

 

Im Herbst 1970 haben sich mehrere Eisenbahnfreunde aus St. Andreasberg, Walkenried, Wieda, Clausthal-Zellerfeld und Schulenberg zusammen gefunden, um sich 1mal pro Monat zu treffen und sich über die Bahnen in aller Welt, besonders aber die im Harzraum, auszutauschen. Manchmal wurden Dia-Abende veranstaltet oder Fotos angeschaut, dazu gab es die entsprechenden Berichte. Die ersten Treffen fanden meist im Cafe Wiegand statt, später dann auch im Speisewagen von Berlin bei Heinz Düver. Hier kam die Idee auf, eine Modellbahnanlage zu bauen. Viel Arbeit investierten die Mitglieder, allen voran Gerhard Bolte, um im Bahnhof West einen Raum dafür herzurichten.

 

Doch nach einiger Zeit gab es Bedenken, die Ausbauarbeiten fortzuführen, da langsam das Gerücht von einer Stilllegung der Bahnstrecke bis zum Bahnhof St. Andreasberg West die Runde machte und man nicht wusste, was mit dem Bahnhofsgebäude geschehen würde. Und im September 1977 musste dann auch Heinz Düver mit seinem Zug, der aus insgesamt 5 Wagen bestand, den Bahnhof in St. Andreasberg verlassen, da die Strecke von Bad Lauterberg her von der Bundesbahn abgebaut werden sollte.

Besonders Walter Werner und Gerhard Bolte, die beiden Andreasberger Gründungsmitglieder der Oberharzer Modell-Eisenbahner, bemühten sich um eine neue Bleibe. Und so zogen die Modellbahnfreunde dann in die Glück-Auf-Schule ein, wo im obersten Bereich ein nicht mehr benötigter Klassenraum zur Verfügung gestellt wurde.

 

Und nachdem man in vielen Stunden eine größere Modellbahnanlage errichtet hatte, auf der die Züge teils automatisch, teils von Hand gesteuert, unterwegs waren, wurde die Idee verfolgt, ein betriebsfähiges Modell der St. Andreasberger Zahnradbahn, einschließlich der Bahnhöfe, zu bauen. So ist es dann auch geschehen, und diese Anlage fand noch lange Jahre viel Bewunderung und Anklang bei den Besuchern, die ein- bis zweimal jährlich zum „Tag der offenen Tür“ eingeladen wurden.

 

Der Modellbahnverein um die Zahnradbahn „Mariechen“!
Der Modellbahnverein um die Zahnradbahn „Mariechen“!

Nachdem einige der Mitglieder gesundheitlich nicht mehr in der Lage waren oder schon verstorben, wurde der Verein aufgelöst. Einige Jugendliche waren inzwischen dem Verein beigetreten, doch nach ihrer Schulausbildung haben sie den Ort verlassen und standen somit auch nicht mehr zur Verfügung.

 

Diesen Bericht habe ich aus eigenen Erinnerungen heraus angefertigt, zum Teil dabei auf Aufzeichnungen von Walter Werner, verstorben, zurückgegriffen.

 

Der größte Teil der Fotos stammt von Walter Werner.

 

Ingrid Lader, Gründungsmitglied der Oberharzer-Modell-Eisenbahn (OME)

Die Kleinbahn St. Andreasberg in Zahlen!
Die Kleinbahn St. Andreasberg in Zahlen!

Die Zahnradbahn in Sankt Andreasberg - Deutsche Bahn -
EISENBAHNGESCHICHTEN AUS NIEDERSACHSEN
Die Deutsche Bahn berichtet über die längst vergessene Zahnradbahn mit dem Namen „Mariechen“!
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Der RBB - Bahnbus in St. Andreasberg, hier steht der Bahnhof von Zahradbahn Mariechen immer noch!
Der RBB - Bahnbus in St. Andreasberg, hier steht der Bahnhof von Zahradbahn Mariechen immer noch!

Auch das linke Bild ist seit 2018 Geschichte!

Das Bild zeigt den RBB - Bahnbus aus Goslar auf der Linie Goslar - Clausthal-Zellerfeld - Altenau - St. Andreasberg am ehemailgen Bahnhof der St. Andreasberger Kleinbahn GmbH am Glockenberg, der damaligen Endstation von „Mariechen“!


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